Fast jeder stimmt diesem Satz zu – aber warum eigentlich?
Ist es eine gereifte Weisheit, um Hektik und Karrieredenken fahren zu lassen und besser das Leben zu genießen? Drückt er aus, dass wir am Ziel manchmal enttäuscht sind und uns nach dem Abenteuer des Weges zurücksehnen? Oder soll der Satz jene trösten, die ihr Ziel verfehlt haben – vielleicht mit einem Augenzwinkern?
Also mal ehrlich: “Weg = Ziel“ – ist das nur ein wirres Paradox? Ist eigentlich doch der Weg der Weg und das Ziel das Ziel? Ist der Satz eine Pseudo-Weisheit mit Placebo-Effekt? Wer hat sich das einfallen lassen?
EIN ZIEL DES KONFUZIUS: BILDUNG
Angeblich ist der Satz von Konfuzius inspiriert, dem Vater der klassischen chinesischen Philosophie. Konfuzius lebte um das 5. Jahrhundert v. Chr. – also etwa zur selben Zeit wie Phythagoras, Heraklit, Zenon von Elea und Siddhartha Gautama (Buddha). Konfuzius war kein Mönch, sondern Gelehrter und zeitweise Beamter. Seine Lehre konkurrierte damals mit dem Taoismus und etwas später mit dem Buddhismus.
Wie könnte Konfuzius den Satz gemeint haben?
Konfuzius vertrat das Ideal des „Edlen“, des moralisch vorbildlichen Menschen. Wir sollen demnach vor allem andere Menschen achten und uns innerlich wie äußerlich bilden. Erstrebenswert seien Menschlichkeit, Rechtschaffenheit, Weisheit und Loyalität. Dieses Ideal sei zwar unerreichbar, aber das Streben danach zeichne die guten Menschen aus. Was bedeutet das für den Satz „Der Weg ist das Ziel“?
Der heute verbreitete Satz könnte eine schlampige Übersetzung aus dem Chinesischen sein. Zunächst einmal: Ähnlich wie bei Sokrates oder Jesus ist auch von Konfuzius nichts Schriftliches überliefert. Erst ein Jahrhundert später wurden die „Gespräche“ (Lunyu) niedergeschrieben. In diesem Grundtext des Konfuzianismus heißt es nach der Übersetzung von Erling Weinreich:
„Richte Deinen Willen auf den Weg, […]“ (Lunyu 7.6)
Erinnern wie uns an Konfuzius’ Ideal: Bildung sei der richtige Weg, um ein edler Mensch zu werden. Deshalb sagt Konfuzius hier, Bildung selbst solle zum Ziel (des Willens) gemacht werden. Aber das grundlegende Ziel ist nach wie vor: ein edler Mensch zu sein.
Anscheinend meinte der Satz ursprünglich: Wenn wir ein höheres Ziel nur durch Arbeit an uns selbst erreichen können (durch Bildung), dann ist dieser Weg der Bildung selbst ein wichtiges Ziel. Daraus wurde irgendwie der bekannte Spruch, der Weg sei das Ziel.
WAS HEIßT DAS FÜR UNS?
Der Ausspruch „Der Weg ist das Ziel“ kursiert also heute in einer missverständlichen Form. Der Sprung ist ungefähr so, als hätte jemand gesagt „Achte darauf, dass dein Auto heil ist, dann kommst du gut nach Hause“ und daraus wird später: „Dein Auto ist dein Zuhause“.
Klar: Es ist wichtig, sich nicht beim Nachjagen ewig zukünftiger Ziele aufzureiben, sondern das Leben jetzt zu schätzen. Und ja: Manche Ziele entdecken wir erst auf dem Weg. Aber wie eng wäre unser Horizont, wenn wir keine Ziele jenseits des Weges fassen könnten.
Ein Beispiel: Ich möchte social media besser verstehen, um z. B. als Autor direkt mit Lesern in Austausch zu treten. Ich mache mich also an die Verbesserung meiner social media-Fähigkeiten, schaue „How to“-videos auf youtube, folge einigen Experten auf twitter und surfe social media-Marketing-Blogs. Aber dann.
Diese Sphäre saugt mich völlig auf – und ich vergesse zeitweise, dass ich nicht das Leben eines social media-Marketing-Experten führen will, sondern das eines Autors. Ich muss mich erinnern, dass dieser Weg nicht mein Ziel ist. Mir scheint, dass viele Wege solche Abgrenzung erfordern, die sich uns heute als Selbstzweck aufdrängen.
Übrigens äußerte der berühmte Soziologe Max Weber schon 1904/5 eine verwandte Diagnose: Menschen im Kapitalismus seien von einer arbeitsbesessenen Ethik getrieben. Diese halte den asketischen Protestantismus aufrecht – allerdings sei das religiöse Ziel (das Reich Gottes) weggefallen. Salopp gesagt: Modernes Arbeiten heißt, zu malochen ohne höheres Ziel.
FAZIT:
Also: Lassen wir uns von diesem Satz „Der Weg ist das Ziel“ nicht verwirren. Auch wenn wir unseren Weg manchmal in den Fokus rücken, sollten wir nicht unsere grundlegenden Ziele vergessen. Manchmal dürfen wir den Weg einfach nur als Weg begreifen. Und wir dürfen auch an Zielen mitarbeiten, die unseren eigenen Weg überdauern.
Natürlich sind wir bisweilen vor lauter Zielen blind für „das Leben“ – dann ist es an der Zeit, grundlegende Fragen zu stellen. Lesen Sie dazu den Beitrag AB HEUTE BESSER LEBEN – 7 Fragen die man stellen muss.
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