Ächzen und genervtes Augenrollen um mich herum. Ich stehe in der Schlange im Supermarkt. Es ist nur eine Kasse geöffnet, eine Kollegin hat Urlaub, ein Kollege ist krank und an der Kasse sitzt eine Aushilfe. Upps, vertippt – „Einmal der Storno-Schlüssel bitte an Kasse 2“ fleht sie ins Ladenmikrophon. Die Leute in der Schlange schnaufen im Chor auf. Ich hoffe, es dauert noch etwas länger.
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Schon beim Anstellen habe ich fröhlich mein handliches Büchlein gezückt, das ich für Wartezeiten immer dabei habe. Momentan die Reclam-Ausgabe von Michel de Montaignes „Essais“. Ärger und Ungeduld sind mit dadurch fremd und schon nach zwei Zeilen bin ich gedanklich angeschaltet – denn der nächste kurze Essai trägt die Überschrift „Ob wir etwas als angenehm oder als unangenehm empfinden, das hängt größtenteils davon ab, wie wir uns dazu stellen“ (S. 129). Warum steht das nicht groß auf einem Schild an der Kasse?
Während um mich herum die ersten Sticheleien auf die arme Aushilfe eingehen, lese ich schmunzelnd bei Montaigne, dass es nicht die Dinge, sondern unsere Vorstellung der Dinge ist, an der wir leiden (das hat er von Epikur). Und über unsere Vorstellung haben wir eine gewisse Macht. Tja, im Jahre 1580 geschrieben, aber noch 2016 hilfreich beim Einkaufen. Schade, ich bin bald dran. Soll ich ein paar Leute vorlassen?
Besonders geeignet für solche Lektüren beim Warten (Bus, Bahnsteig, Flughafen, IKEA, Arzt) sind Texte großer Denker mit kurzen Abschnitten, bei denen man gut einsteigen oder pausieren kann. Hier 15 hervorragende Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge. Ich habe nicht die schönsten oder die renommiertesten Ausgaben zusammengestellt, sondern diejenigen, bei denen man sich keinen Bruch hebt.
1. Walter Benjamin – Einbahnstraße/Berliner Kindheit um 1900
2. Albert Einstein – Mein Weltbild
3. Baltasar Gracian – Handorakel und Kunst der Weltklugheit
4. Hippokrates – Ausgewählte Schriften
5. Franz Kafka – Betrachtungen über Leben, Kunst und Glauben
6. Karl Kraus – Karl Kraus für Gestreßte: Aphorismen
7. Georg Chr. Lichtenberg – Aphorismen (Hors Catalogue)
8. Michel de Montaigne – Essais
9. Friedrich Nietzsche – Menschliches: Aphorismen (Was bedeutet das alles?)
10. Novalis – Fragmente und Studien. Die Christenheit oder Europa
11. Arthur Schopenhauer – Aphorismen zur Lebensweisheit
12. Kurt Tucholsky – Dürfen darf man alles: Lebensweisheiten
13. Mark Twain – Mark Twain für Boshafte
14. Oscar Wilde – Oscar Wilde zum Vergnügen
15. Ludwig Wittgenstein – Denkbewegungen: Tagebücher
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Hast Du weitere Vorschläge für die Liste? Ich freue mich auf Ergänzungen und Kommentare!