„Später, später nur nicht heute sagen alle faulen Leute! – so haben wir es gelernt. „Procrastination“ ist das aktuelle Schlagwort – „Aufschieberitis“. Die sollen wir unbedingt vermeiden, denn sonst schaffen wir nicht genug, oder? Wenn wir nicht versagen wollen, dann Vollgas jetzt, oder? Doch Vorsicht: Wer alles sofort erledigt, der fügt sich dem Diktat des Dringlichen und schiebt auf, was im Leben wirklich zählt. Sieben Fragen bringen Sie wieder auf Kurs.
Effizienz ohne Erfüllung?
Es ist ein tolles Gefühl, wenn man so richtig viel abgehakt hat. Wenn man voller Elan den ständigen Strom einprasselnder Aufgaben in geordnete Bahnen lenkt – seinen Job machen, Emails erledigen, Telefonate führen, Termine einhalten, Einkäufe tätigen, Kinder bringen oder abholen, an Geburtstage denken, Meldungen weiterleiten, Updates installieren, rechtzeitig einen TÜV-Termin bei der Werkstatt machen…und schließlich nach einer weiteren hektischen Woche Sonntag abends gemütlich Tatort. Uff.
Doch unterschwellig merken wir, dass wir trotz Hochleistung unzufrieden sind, als ob wir doch etwas Wichtiges verpassen.
„Habe ich den Anschluss verpasst?“ – „Hinke ich hinterher?“ – solche Fragen drücken heute Ängste aus, wie der Soziologe Hartmut Rosa sie erforscht. Ironischerweise kann gerade diese pragmatische Gradlinigkeit unsere Ängste noch vergrößern – wenn wir nämlich spüren, dass wir wie im Hamsterrad rennen, ohne Erfüllung im Leben.
Wenn wir dann für einen Moment unser Leben überschauen, kann es uns treffen wie der Schlag: Je mehr wir dauernd nur erledigen, erledigen, erledigen, desto mehr neigen wir dazu, aufzuschieben – nämlich die Dinge, die nicht durch eine kurzfristige Deadline unsere Aufmerksamkeit erkämpfen. Es sind langfristige Lebensthemen, die anscheinend nicht dringlich sind – aber viel wichtiger als der tägliche Kleinkram. Hier sind sieben Fragen, die wir uns im Leben ersthaft stellen sollten:
- Führe ich das Leben, dass ich wirklich führen möchte?
- Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Was möchte ich nicht in meinem Leben?
- In welcher Tätigkeit gehe ich so auf, dass ich sie im Leben nicht missen möchte?
- Spielt diese Tätigkeit eine angemessene Rolle in meinem Leben?
- Welche Handvoll Menschen bedeutet mir so viel, dass ich eine lebenslange Beziehung oder Freundschaft halten möchte?
- Pflege ich diese Beziehungen bzw. Freundschaften?
- Am Ende meines Lebens Frieden finden ohne Reue – befinde ich mich auf dem Weg dahin?
Haben Sie sich bei der einen oder anderen Frage ertappt gefühlt? Sie können diese Liste gerne ergänzen – einfach unten einen Kommentar eintragen.
Dann kommt Ihnen als nächstes vielleicht die Frage nach der praktischen Umsetzung in den Sinn: „Was muss ich dafür wissen oder können?“ Manchmal meinen wir, wir hätten noch nicht alles, um loszulegen oder seien noch nicht genug vorbereitet. Das kann ein Grund dafür sein, dass wir das bessere, erfülltere Leben aufschieben. Doch es gibt kein Entkommen:
Besser leben – wie lernt man das? Indem man damit anfängt.
Schwimmen mit Aristoteles
Dieses Thema gehört zu den ältesten der menschlichen Überlieferung und ist gleichzeitig brandaktuell. Einen treffenden Vergleich fand Aristoteles vor 23 Jahrhunderten in der Nikomachischen Ethik, als er den Weg zum besseren Leben mit einem Handwerk verglich: Eine Handwerk lerne man erst dadurch, dass man es ausübt. Wie man ein Stecheisen benutzt, lernt man, indem man es benutzt.
Anderes Beispiel: Jemand möchte Schwimmen lernen. Er hört sich die Erklärungen von erstklassigen Schwimmern an, dann liest er Bücher übers Schwimmen und schließlich nimmt er an einem Webinar teil. Nun steht er im Schwimmbad vor Ihnen auf dem Drei-Meter-Brett und erzählt Ihnen davon. Was würden Sie ihm raten?
Vermutlich etwa Folgendes: „Wenn Sie Schwimmen lernen wollen, dann gehen Sie vielleicht erst ins Flache, vielleicht machen Sie erst leichtere Übungen oder so – Sie müssen nicht erst Schwimmen können, um dann ins Wasser zu gehen, sondern Sie gehen ins Wasser, um Schimmen zu lernen.“
So auch im Leben: Wir lernen, ein besseres, erfüllteres Leben zu führen, indem wir damit beginnen.
Wann besser leben, wenn nicht jetzt?
Es sind solche Fragen, die wir gelegentlich ankratzen – und dann häufig schnell verschieben mit den Worten: „Da muss ich irgendwann später mal richtig drüber nachdenken.“ Vielleicht meinen wir auch, wie der Schwimmer im Beispiel oben, wir müssten erst einen Stapel Bücher lesen oder Webinare besuchen – und dafür fehlte uns schlicht die Zeit.
Und wir erledigen und erledigen und schon wieder ist Weihnachten, und dann schon wieder…bis wir uns wieder einmal fragen: „Was tue ich hier eigentlich? Ich verschiebe ständig das Nachdenken über mein Leben und die Zeit rinnt mir durch die Finger!“
Eine Leserin meines Buches Was tue ich hier eigentlich? hat in einer Leserunde bei LovelyBooks diese Einsicht besonders treffend ausgedrückt – ihren Gedanken finde ich so aufrüttelnd und inspirierend, dass ich ihn eigentlich jeden Tag lesen möchte. Mit ihrem Einverständnis habe dazu die Spruchkarte für diesen Beitrag gestaltet – danke DJaizy!
Wenn Sie (noch) besser leben wollen – was, finden Sie, sollten Sie jetzt konkret als nächstes tun? Welche Fragen sollte man sich sonst noch stellen – ich bin gespannt auf Ihren Kommentar!
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